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Der
Bildausschnitt ist eng quadriert, damit der Zuschauer keine große
Möglichkeit hat sich zu distanzieren und zu beobachten oder zu betrachten.
Deswegen werden auch keine Ausschnitte aus dem alltäglichen Leben dazu oder
dazwischen geschnitten. Es entstand eine Stage-Situation, in der sich die
Personen, entgegen den teilweise erfahrenen Situationen bei
Studentenvorführungen oder Nacktfotografien, selbst im Raum positionieren
konnten. (Von meiner Seite aus bestand natürlich weiter die
Bildverantwortung.)
Dieses
Konzept arbeitet dem Prinzip der Darstellung des „Fremden“ entgegen, das in
der medizinischen und ethnologischen Fotografie vorherrscht (> Betrachtung
aus der Distanz).
Reduktion auf Talking-Heads:
die Aufmerksamkeit soll hauptsächlich auf dem Erzählten liegen. In einer
Welt der visuellen Reizüberflutung müssen wir wieder lernen zuzuhören. Auf
den ersten Blick scheint die gewählte starre Kamera sperrig und der „Film“
mutet eher wie ein Hörspiel an, doch bald gewinnt das Erzählte an Platz und
eröffnet neue Denkräume, denen man visuell nichts hinzufügen braucht. Es
geht um die Zurückeroberung der Sprachebene, die vollends von der Medizin
geprägt ist und durch das Nicht-Thematisieren in der Gesellschaft bisher als
Plattform der Ausdrucksmöglichkeit nicht bzw. nur im kleinen Kreis vorhanden
war.
Auf den
Texttafeln, die Formulierungen aus medizinischen Büchern zitieren, findet
eine Zersetzung und somit Abwertung der medizinischen Sprache statt bis sie
vollend aus dem Film verschwinden und dem Erzählen Platz machen. Inhaltlich
kontrastieren sie zudem das gesagte und thematisieren so die Kluft zwischen
medizinisch wahr genommenen Objekt „Mensch“ und dem psychologisch fühlendem
Subjekt.
Für mich
stellt die Annahme, alles durch Wissenschaft genau und sicher erklären zu
können, das Problem dar. Wäre klar, dass bei allem eine Unsicherheit besteht
und nur Richtwerte einer Norm ermittelt werden können, es aber Gang und Gebe
ist, dass es Abweichungen in alle Richtungen geben kann, wäre das
Selbstverständnis und das Verständnis Fremden gegenüber sehr viel größer.
Das die
Interviewten allgemein aus dem starren Bildrahmen ausbrechen können, weit
rechts sitzen und in den vor ihnen leeren Raum sprechen können, ist ein
Abbild ihrer Position in der Gesellschaft – abseits, sie fallen aus dem
Rahmen. Doch durch ihre intensiven Erzählungen rücken sie sich in den
Mittelpunkt des Blicks des Betrachters.
Außerdem
war mir auf der Bildebene wichtig, die Manipulationen am Material ehrlich zu
zeigen, denn mit dem Thema Intersex hängen die Begriffe „Manipulation“,
„Verschweigen“ und „Vertuschen“ sehr eng zusammen. Deswegen die Entscheidung
für eine starre Kamera, JumpCuts, keine Schnittbilder und lange
Blacks/Whites zwischen den Bildern, um meine Arbeit am Material so
offensichtlich wie möglich zu machen und Lücken zu betonen.
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Bei den ersten Testscreenings stellte sich die konzeptuelle Überlegung, das
visuelle weitestgehend zu reduzieren, um den Schwerpunkt auf das Erzählte zu
legen, als ein Problem heraus.
Die Erwartungen einen Film zu sehen, der
sowohl visuelle als auch auditive Reize bietet, wurde nicht erfüllt; Sollte
von meiner Seite her auch nie erfüllt werden, doch die Erwartungen, die am
Anfang geweckt wurden, konnten nicht erfüllt werden.
Vorhergegangener VERSUCH
Der Versuch aufgrund des „MANGELS“, neue visuelle Ebenen einzubauen,
scheiterte daran, dass den Protagonisten dadurch viel zu viel Platz und Luft
zum Atmen genommen wurde und somit schien mir der Schwerpunkt, den ich in
dieser Arbeit setzen wollte, verfehlt.
Meine eigene Haltung ist in jedem Schnitt,
in meinen Fragen und in der Anordnung des Erzählten zu spüren. Am
deutlichsten wird meine Haltung und meine Person als Regisseurin durch das
ans Ende gestellte Lied „Zombi“ von Kante. Mehr wollte ich den Aussagen der
Protagonisten nicht hinzufügen.
Deswegen beschloss ich, das „Ettiket“ Film,
das falsche Assoziationsfelder aufmachte, gegen ein aussagekräftigeres
auszutauschen, damit gleich von Anfang an klar ist, dass der Augenmerk auf
den Erzählungen liegt und nicht die Absicht besteht, hauptsächlich über
filmübliche, visuelle Reize zu erzählen.
„Visuelles Hörstück“: meine Arbeit ist kein Film, da die visuellen Reize extrem
reduziert sind, kein Hörspiel, weil Bilder da sind, die einen besseren
Zugang zu den Personen und ein neues Bild von Intersexuellen schaffen.
So steht diese Arbeit dazwischen, ist keins von beidem, ob weniger oder mehr
ist Ansichtssache. So findet sich das Zwiegespaltene und das Dazwischensein
auch auf materieller äußerer Ebene wieder.
Auch hier merkt man, wie wichtig eine Schublade ist, mit der entsprechende
Erwartungen verbunden werden.
Hier hilft vielleicht die
Strategie
selbst neue, selbsterklärende Begriffe
zu finden, die assoziatives Neuland auftun.
Um mich noch weiter vom Filmischen zu distanzieren,
unterteile ich die Arbeit, auch zur besseren Gliederung, in Prolog und 1. –
4. Akt. Dies stellt zugleich eine weitere Verbindung zu Tschechow her,
dessen Zitat ich ans Ende gestellt habe.
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“Es gibt
keine Sicherheit, es gibt nur verschiedene Grade der Unsicherheit.“
Anton Pawlowitsch Tschechow (1860-1904),
russischer Schriftsteller, Novellist und Dramatiker
“ Die Stücke von Tschechow, die eine tragikomische Sicht auf die Banalität
des Provinzlebens und die Vergänglichkeit des russischen Kleinadels zeigen,
erhielten kurz nach der Übersetzung internationale Resonanz. Auch heute wird
Tschechow als unübertroffener Meister der Kurzgeschichte betrachtet. Die
meisten seiner handelnden Personen sind anständig und sensibel. Sie träumen
davon, ihr Leben zu verbessern, meistens vergeblich, wegen des Gefühls der
Hilf- und Nutzlosigkeit. Die Forscher meinen, Tschechow habe die Passivität
des Gesellschaftslebens des zaristischen Russlands kritisiert. Aber er hat
seine Leser nie belehrt, er zog immer vor, die höchst individualisierten
Charaktere samt ihren spezifischen Problemen in seinen Werken vorzuzeigen.
Tschechow übte einen immensen Einfluss
auf die Formung der modernen Novelle und des Schauspiels aus. Zu seinen
Innovationen zählen die auffällige Sparsamkeit an Erzählstrategien und die
Bevorzugung der Persönlichkeit der Charaktere vor der Handlung; seine
impressionistische Neigung zu den besonderen Ansichtspunkten; sein Verzicht
auf die traditionellen Intrigen und, in den Worten
Karl Mays, der Einsatz der Atmosphäre
“zweideutiger Mischung sowie der äußeren Details als auch der inneren
Projektion“.“
(Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Anton_Pawlowitsch_Tschechow#Das_Werk)
Seine Stücke beziehen ihre Wirkung nicht aus einer dramatischen Handlung,
sondern aus Seelenzuständen und Stimmungen. Auf diese Weise porträtieren sie
den sinnentleerten russischen Alltag vor der Revolution von 1905: Das
„langweilige“ Dasein der Menschen, die in ihrer Unfähigkeit zur
Kommunikation gefangen sind und angesichts der bestehenden
gesellschaftlichen Verhältnisse nurmehr resignieren können, steht hier
deutlich im Mittelpunkt.
„Was sollen wir machen", heißt es
dementsprechend in Onkel Wanja:
„Wir müssen leben!".
Parallelen
zu meiner Arbeit:
In „Die
Katze wäre eher ein Vogel…“ gibt es keine vordergründige dramaturgische
Entwicklung, es sind Charakterskizzen über verschiedene Menschen. Nur im
Hintergrund verändern sich Einstellungen, die Beschreibungen werden immer
heftiger, bis sich das ganze umkehrt und aus einem völlig neuen Blickwinkel
betrachtet wird.
Meine Protagoniste_Innen sind ebenfalls in starren Gesellschaftsformen
gefangen, doch muss man resignieren? Unfähigkeit zur Kommunikation, nicht
weil man nicht will, sondern weil einem teils die Sprache, teils das Forum
fehlt.
Bei Tschechow ändert sich nie etwas, alle leben mit der Hoffnung auf eine
bessere Zukunft, doch kommt sie nie. Wird sie in diesem Fall auch nie
kommen? Im Kontrast dazu steht das Musikstück „Zombi“ von Kante:
„Wir sehen unmöglich aus, wir sind der Zeit voraus, wir sind die wunde
Stelle, mitten unter euch. Wir sind ein Schattenriss aus Knochen, Fleisch
und Blut, wir stehen auf der Schwelle
einer neuen Zeit.“
Die Hoffnung auf eine neue Zeit. Das ist von mir nicht
ironisch gesetzt. Das ist wohl der Punkt, an dem ich sozialromantisch die
Hosen runter lasse.
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